Inhalt
Beschämung und Scham verstehen
Vorwort: Wie das Thema zu uns kam
1. Eine überraschende Heilung
2. Schuld oder Scham?
3. Beschämung und die Folgen
Beschämung hat viele Gesichter
4. Offensichtliche Beschämung
5. Verdeckte Schambotschaften
6. Religiöse Schamkulturen
Die Schamangst verstehen
7. Die Botschaften der Schamangst
8. Gefangen im Schamangst-Zyklus
Trost finden
9. Trost für das beschämte Kind
10. Wertschätzende Beziehungen
11. Hilfen für die Beratung
12. Scham und Würde in der Bibel
Persönliche
Berichte
aus dem Buch
Für unser Buch haben etliche Personen ihre persönlichen Geschichten beigetragen. Sie berichten, was für sie beschämend war und wie sie Trost und die Wiederherstellung ihrer Würde erlebt haben. Diese meisten dieser Geschichten haben wir in Auszügen den verschiedenen Kapiteln zugeordnet. Hier können Sie nun die Geschichten im Zusammenhang lesen.
Für die Namen der Verfasser haben wir Pseudonyme gewählt. Wenn Sie mit einer dieser Personen in Kontakt kommen möchten, schreiben Sie eine Email an info@lebensspurmedien.de Wir werden Ihre Anfrage weiterleiten.
Meine Schamgeschichte begann bereits im Mutterleib. Ich wurde vorehelich gezeugt und das war damals (1954) eine große Schande. Meine Mutter hat mir erzählt, wie sehr sie sich selbst geschämt hat, mich unehelich empfangen zu haben. Lange Zeit hat sie versucht die Schwangerschaft zu verheimlichen und ihren Eltern eine Nierenerkrankung vorgespielt, wegen der sie häufiger zum Arzt musste. Obwohl sie mir wiederholt bestätigte, dass sie sich sehr auf mich gefreut hat, haben ihre Angst vor der Entdeckung der Schwangerschaft und die Scham darüber die eigene Freude sehr getrübt und überlagert, denn ich habe sie nicht wahrgenommen. Erst durch die Lehre in der Team.F Seelsorgeschule ist mir deutlich geworden, dass ich bereits als ungeborenes Kind die Gefühle meiner Mutter spürte und darauf reagierte habe. Bis dahin hatte ich mich immer gewundert, dass fast alle meine Kinderfotos ein sehr trauriges Mädchen zeigen, dass ängstlich und sorgenschwer in die Welt blickt.
Da es an diese frühe Zeit keine bewussten Erinnerungen gibt, habe ich den Vorschlag von Christa Lüling aufgegriffen und in der Stille Gott gefragt, welche Sätze dieses kleine Mädchen damals verinnerlicht hat. Zunächst hatte ich innerlich ein Bild vom Bauch meiner Mutter. Darin zusammengekrümmt, den Kopf zwischen den Knien vergraben sah ich mich als kleines Mädchen sitzen. Und dann kamen nach und nach folgende Sätze: „Mama, bitte entschuldige, dass ich da bin”. „Ich schäme mich so sehr dafür, dass ich dir solchen Kummer mache. Ich will dir nicht zur Last fallen”. „Sicher bin ich für dich eine große Enttäuschung”. Ich spürte dann, wie in mir ein tiefer Schmerz in mir hochkam und ich fühlte mich einsam, unsicher und voller Angst. Ja, mein Denken war jahrzehntelang geprägt von großer Wertlosigkeit und ich konnte mir lange Zeit nicht vorstellen, dass mich überhaupt jemand mochte.
Meine Lebensberechtigung habe ich dann versucht, mir mit “Gutsein” zu verdienen. Ich wollte möglichst keinem Probleme machen, nicht auffallen und durch Leistung glänzen. Das führte dazu, dass ich ununterbrochen für andere da war und recht bald nicht mehr wusste, was mich selbst glücklich machte. Mein Glück bestand darin, anderen Freude zu bereiten und gebraucht zu werden.
Mit diesem Erkenntnisstand ging zu Christa und bat um ein Gespräch. Sie machte mir Mut, mich um dieses beschämte „kleine Mädchen in mir“ zu kümmern und es bildhaft bei Jesus auf den Schoss zu setzen, so wie damals die Mütter ihre Kinder zu Jesus brachten. Dabei wurde ein Bild, das ich schon vor ein paar Jahre zuvor in einer Beratung empfangen hatte, wieder lebendig: Ich sah den Kreißsaal und Jesus neben dem Bett meiner Mutter stehen. Er nahm das kleine Mädchen, das gerade geboren wurde, in Empfang, drückte es fest an sein Herz und sprach ihm die Worte zu: „Willkommen im Leben.” Er hatte einen Hirtenmantel an. Mir fiel sofort Psalm 23 ein, und ich war mir sicher, dass ich nicht mehr allein war. Er ist an meiner Seite als ein guter Hirte.
Aber diesmal ging das Bild weiter: Ich sah das Kreuz Jesu und wie ein großer schwarzer Schmutzfleck plötzlich an’s Kreuz geworfen wurde und daran festklebte. Aber dann tropfte er stückchenweise am Kreuzesstamm herunter und versickerte im Erdboden. Ich wusste intuitiv, dass dies meine Scham war, die nun am Kreuz Jesu ein Ende gefunden hat. Ich hatte nun die Gewissheit: ER hat mich erlöst von Beschämung und Scham. Dafür bin ich IHM unendlich dankbar und IHM gebührt alle Ehre, denn SEIN Kreuzestod hat meine Erlösung möglich gemacht. Das war der Beginn meiner inneren Heilung.
Es ist ein Prozess, der damit begonnen hat. Bis heute deckt Jesus nach und nach in unterschiedlichen Lebensbereichen schambesetzte Gefühle und Reaktionen auf. Die Auslöser liegen zwar im Heute, aber die Ursachen dafür in der Vergangenheit. Fehler zu machen ist für mich immer noch nicht leicht. Der Unterschied ist jedoch: Früher war ich selbst der Fehler, aber nun kann ich unterscheiden zwischen meinem TUN und meinem SEIN. Ich weiß, dass ich geliebt bin trotz meiner Schwachheiten. Wenn die Scham sich wieder melden will entscheide ich mich, sie auf Jesus zu werfen und sie ihm anzuvertrauen. Und dann öffne ich mein Herz für SEINEN Trost und SEIN Erbarmen und die Botschaften SEINER Liebe und Wertschätzung an mich. Und Jesus Christus spricht zu mir: „Ich lebe und Du sollst auch leben.“
„Du sollst nicht mehr schamrot werden …“ Diese Zusage aus Jesaja 54,4 gab Gott mir schon sehr früh in meinem Glaubensleben. Nach Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalt in der Kindheit hatte ich mit massiven Minderwertigkeitsgefühlen und anderen Problemen zu tun. Als ich Jesus kennenlernte, erlebte ich viel Heilung und Befreiung. Die Zeiten, in denen ich Beratung beanspruchte, wurden weniger. Schließlich konnte ich sogar selbst als Seelsorgerin arbeiten. Die Seelsorgeausbildung bei Team.F war mir dazu eine gute Hilfe.
Als dann am Arbeitsplatz Probleme mit Machtmenschen auftraten, entschied ich mich für eine weitere Therapie. Es war sehr gut, dass sich der Therapeut trotz Bedenken auf das Thema „Scham“ einließ. Parallel dazu las ich hilfreiche Bücher zum Thema, wie „Würde und Eigensinn“ oder „Vom Schämen und beschämt werden“ von Udo Baer und Gabriele Frick-Baer.
Außerdem hatte ich ja auch Jesus! Ich bat ihn mir zu zeigen, wie ich meine Scham besiegen konnte. Kurz danach versuchte ich für mich, die Scham bildlich darzustellen. Jesus schenkte mir das Bild eines bunten Gartens, an dessen Pforte ein großer Engel stand, der den Garten hütete. Da wurde mir schlagartig bewusst, dass gesunde Scham die Aufgabe hat unsere Würde zu bewahren. Durch die Bücher konnte ich unterscheiden lernen, ob ich mich für etwas schäme, was ich tue oder was ich bin. Jedes Mal, wenn ich nun dieses Gefühl spürte, konnte ich es wertschätzen und konnte fragen: „Was ist los?“ und musste es nicht mehr beiseiteschieben. So kam ich immer mehr aus dieser Spirale von Schämen und Selbstanklage heraus und fand Entspannung.
Das langfristige Ergebnis wurde sichtbar, als ich nach Abschluss der Therapie wieder einmal über längere Zeit unter massivem Druck leben musste und keine Suchtmittel und falsche Tröster mehr benötigte. Das war ein großer Sieg, der ohne meinen Freund und Heiland JESUS CHRISTUS nicht möglich gewesen wäre. Dank sei IHM dafür.
Christine ist eine aktive Rentnerin mit einem weiten Herzen und einer herausfordernden Lebensgeschichte. Lesen Sie selbst:
Als Kind habe ich mich dafür geschämt, dass es in meinem Elternhaus, einer Landwirtschaft, immer unordentlich und oft auch schmutzig war. Dazu hatten wir das älteste Haus im Dorf. Es war ziemlich heruntergekommen, die Zimmer waren sehr unmodern eingerichtet und wurden nur selten renoviert. Meine Mutter war häufig depressiv und krank und war deshalb oft nicht präsent, um ihre Aufgaben zu erfüllen. So war es mir als Kind immer peinlich, wenn Freunde meines Bruders oder meine Freundinnen zu Besuch kamen. Denn bei denen erlebte ich das totale Gegenteil. Ihre Mütter sorgten für Ordnung und Sauberkeit.
Ich schämte mich zutiefst für mein Zuhause, wurde rot und versteckte mich auch oft. Ständig war meine Sorge: Was werden wohl die Leute, die Freunde meines Bruders und meine Freundinnen über unsere Familie und über mich denken? Ich werde nie einen Freund bekommen, denn wenn der sieht, wie es bei uns aussieht, ist es vorbei.
Dazu kam eine starke Angst, meine Mutter zu verlieren. Als ich vier war hörte ich von ihr zum ersten Mal, dass sie bald sterben würde. Bei jeder Krankheit und jedem depressiven Schub wiederholte sie diese Aussage. Sie starb dann zwar erst mit 74 Jahren, aber in meiner Kindheit schwebte ihre Todesdrohung ständig über mir und so lebte ich ein angstgesteuertes Leben.
Meine inneren Glaubenssätze
Aus dieser Scham und Angst heraus entwickelte ich einige fatale Glaubenssätze, die zur inneren Richtschnur meines Selbstbildes und meines Handelns wurden: „Ich muss Mutti helfen, sonst bin ich noch schuld an ihrem Tod!“ –„Ich kann meine Mutter nicht alleine lassen.“ – „Ich bin das Aschenputtel.“- „Ich bin der Retter in der Not.“ – „Wenn ich Anderen helfe, fühle ich mich gut.“- „Nur wenn ich etwas leiste, ernte ich Lob und Anerkennung.“ – „Meine Eltern können stolz auf mich sein, dass sie mich haben.“
Ich wollte und konnte mit niemandem reden, denn ich schämte mich zu sehr, dass jemand erfahren könnte, wie es bei uns zu Hause zugeht. Also machte ich alles mit mir selbst ab, was die Familie betraf. Außerdem durfte ich mein „Nest“ nicht beschmutzen, da mein Vater großes Ansehen im Dorf genoss. Der „gute Albert“ war u.a. Kirchenältester. Da ich niemandem zur Last fallen wollte mit meinen Problemen, habe ich nur meinen Katzen auf dem Heuboden mein Elend geklagt. Dorthin verkroch ich mich oft vor der Gewalt meines Vaters. Als junge Frau habe ich dann Einiges einer Freundin meiner Mutter anvertraut. Aber sie wollte es nicht wahrhaben und redete alles schön. Da machte ich ganz dicht.
Wozu habe ich mich entschieden, um diesen Makel auszugleichen?
Um keine Probleme zu machen, entwickelte ich ein starkes Leistungsdenken und wurde eine sehr gute Schülerin. , Zuhause übernahm ich die Verantwortung anstelle meiner kranken Mutter, um meine beschämende Familiensituation zu verbergen und nach außen das Bild einer intakten Familie und eines ordentlichen Haushalts zu wahren. Ich arbeitete viel und entwickelte sogar einen Putzzwang. Freiwillig übernahm ich Verantwortung für die Aufgaben im Haus, auf dem Hof und dem Feld, auch wenn das gar nicht meine Aufgabe war. Sogar noch als junge Ehefrau vertrat ich aus Mitleid meine Mutter bei ihrer Arbeit im Viehstall, wenn sie wieder mal krank war!
Immer war ich bemüht, alle anderen zufrieden zu stellen. Ich habe meinen Eltern und anderen Menschen ihre Wünsche von den Augen abgelesen und bot meine Hilfe an, ohne gefragt worden zu sein. Das tat ich natürlich auch für Lob und Anerkennung, aber besonders trieben mich meine Sorgen und Ängste dazu an. Mein Motto war: Hauptsache ihnen geht es gut! An mein eigenes Befinden habe ich nicht gedacht, denn meine Selbstwahrnehmung war nicht entwickelt! So war ich jahrelang gefangen in meiner Rolle als Retter und Helfer.
Immer war ich freundlich und hilfsbereit, sagte nie nein, denn Grenzen setzen konnte ich nicht. Nach außen wirkte ich stark, aber hinter der Fassade steckte immer noch ein beschämtes Mädchen mit einem sehr schwachen Selbstwert. Innerlich war ich voller Wut und Groll, da war viel Bitterkeit und auch Hass in meinem Herzen gegen meine Eltern.
Meine Ehe lief auch nicht wie gewünscht. Mein Mann hatte ein Suchtproblem und ich lebte zu ihm in einer Ko-Abhängigkeit. Das bedeutete, ich musste auch ihn ständig „retten“. Immer machte ich gute Miene zum bösen Spiel. Mein Leben war pure Heuchelei. Solch ein Leben war natürlich eine totale Überforderung.
Was war die Folge? Irgendwann schlug das Pendel zur anderen Seite aus und ich entwickelte aufgrund meiner Minderwertigkeit eine starke „Opfermentalität“. Ich schwelgte in Selbstmitleid, litt unter Depressionen und diversen psychosomatischen Krankheiten, hatte starke Rückenschmerzen. Mit achtunddreißig Jahren wollte ich mir das Leben nehmen.
Was hat mir Entlastung gebracht?
Mit meinem Mann konnte ich reden, aber es war nicht hilfreich, denn er war mit meinen Gedanken überfordert und er idealisierte meine Eltern. Erst durch die Team.F Seminare „Versöhnt leben-Beziehungen klären“ und die „Schule für Gebetsseelsorge“ verstand ich die Zusammenhänge und konnte meine Geschichte durch Gespräche und eine Traumatherapie aufarbeiten. Nun muss ich mich nicht mehr schämen für das Versagen meiner Eltern, denn ich bin nicht verantwortlich für ihre Verhaltensweisen.
Besonders hilfreich war für mich, dass ich durch die liebevollen Mitarbeiter die Vaterliebe Gottes kennen gelernt habe. Ich konnte glauben, dass ich auch ohne Leistung geliebt bin. Ich konnte meinen Eltern vergeben, da ich viel Trost von Jesus empfangen habe und die liebevolle Annahme der Mitarbeiter erlebte.
Ich bat Jesus auch um Vergebung für meine Schuld: für meine schlechten Gedanken und Reaktionen und meine negative Haltung gegenüber meinen Eltern. (Wut, Bitterkeit, Groll, Hass). Durch das zeichnen meines Genogramms (Familienstammbaum) erkannte ich die negativen übergreifenden Familienmuster, die meine Familie seit etlichen Generationen bestimmen. Ich habe mich auch gelöst von den negativen seelischen Bindungen an meine Mutter, meinen Vater und meine Vorfahren. Über mir wurden Flüche zerbrochen.
Ich vergab mir selbst, wo ich mich über mich selbst geärgert hatte und von mir enttäuscht war. Und schließlich vergab ich auch Gott, mit dem ich lange gehadert hatte, dass ich in dieser Familie leben musste.
Ich lernte Methoden, wie ich selbst meine alten Lügen (negative innere Glaubenssätze) aufdecken konnte, um sie zum Kreuz zu Jesus zu bringen. So wurde ich frei, die Wahrheiten Gottes über meinem Leben immer tiefer glauben zu können. Ich bin froh, dass ich jetzt weiß, wer ich in Christus bin: nämlich seine geliebte Tochter, und dass mich Jesus von Anbeginn der Welt wollte. Ich freue mich, dass ich in dieser Zeit lebe und dass er einen großartigen Plan hat für mich und ich lernen kann, in meiner Berufung zu leben.
Wie geht es mir heute?
Ich bin raus aus meiner Retter- und Opferrolle. Mittlerweile kenne ich meine Bedürfnisse und kann gut für mich selbst sorgen. Dazu gehört, dass ich meine Grenzen sehe und oft „Nein“ sagen kann, ohne Schuldgefühle zu haben. Ich lebe weitestgehend unabhängig von Menschen, denn ich habe mich fest an Jesus gebunden.
Ich bin auch fast frei von den negativen Folgen meines alten Lebens, von den psychischen und körperlichen Symptomen. Ich genehmige mir sogar eine Putzhilfe für mein Haus und habe dabei kein schlechtes Gewissen.
Meine guten Erfahrungen gebe ich gerne weiter in der Seelsorge und der Frauenarbeit unserer Gemeinde. Psychisch kranken Menschen begegne ich mit Respekt und Wertschätzung und beziehe sie in die Mitarbeit im Frauenkreis ein. Auch habe ich begonnen, bei Team.F Seminaren mitzuarbeiten, um anderen die Hilfe zu geben, die ich selbst erfahren habe.
Die größte Beschämung meines Lebens war das Scheitern meiner ersten Ehe. Scheidung war in meiner christlichen Vorstellung nicht vorgesehen. Dazu kam, dass ich dadurch für einige Jahre äußerlich meine Kinder verlor. Zu der Scham, als Mutter versagt zu haben, gesellten sich Schuldgefühle, meine Kinder nicht genug beschützt zu haben.
Die Folgen für mein Leben waren, das ich als gebeugtes, graues Mäuschen dastand, mit wenig Zutrauen in meine eigenen Entscheidungen. Ich war ziemlich unsicher in meinem Handeln und oft hin und her gerissen. Mein innerer Glaubenssatz war: „Ich bin es nicht wert, dass mir jemand Zeit schenkt und mir zuhört.“
Was mir damals am meisten geholfen hat, war meine Gemeinde. Ich bin in deren Nähe gezogen, weil mein Glaube an Jesus in dieser Zeit mein größter Anker war. Eine christliche Beraterin hat mir zugehört und ist mit mir zu Jesus gegangen. So wurde die Scham etwas kleiner. In meiner Gemeinde wurde ich in meiner Trauer wahrgenommen und mit meinen Bedürfnissen ernst genommen. Viele Umarmungen zur Begrüßung haben mir innerlich ein Stück Heilung geschenkt. Ich wurde als wertvolle Person wahrgenommen und durfte im Kirchencafé mitarbeiten. Immer wieder konnte ich im Gottesdienst für mich beten und mich segnen lassen. Dies alles, und ein TeamF. Seminar zum Thema „Scheidung“ haben meine Würde als Frau und als Mutter wiederhergestellt.
Als ich im Kindergartenalter war, verunglückte meine liebste Freundin vor meinen Augen. Wie sich im Krankenhaus herausstellte, hatte sie glücklicherweise nur eine Gehirnerschütterung erlitten. Das Geschehen brannte sich aber dennoch in meine kindliche Seele ein, weil ich ein eigenes Schulderleben damit verband. Erst viele Jahre später, nachdem ich mich mehrfach mit der Aufarbeitung dieses Ereignisses beschäftigt hatte, wurde mir bewusst, dass hier auch Scham eine Rolle spielte. Auf dem Weg der Heilung war dies letztlich entscheidend.
Was genau war damals geschehen? Einmal in der Woche erschien der Fischhändler mit seinem Bulli und lautem Gebimmel in unserer Siedlung. Dies brachte uns Kinder immer in Aufregung, denn dieser Wagen transportierte nicht nur Fisch, sondern auch leckere lange Gummischlangen, die wir Kinder heiß und innig liebten. So war es auch am Tag des Unfalls. In unserer kleinen Siedlungsstraße hielt der Wagen auf der anderen Straßenseite. Wir Mädchen spielten gerade im Garten, riefen lauthals unsere Mütter und liefen auf die Straße, um schnell in den Genuss der Süßigkeit zu kommen. Dann sah ich, wie meine Freundin von einem Auto erfasst und durch die Luft geschleudert wurde. Dies ist der einzige bildhafte Eindruck, den ich von der Unfallsituation abgespeichert habe.
Meine nächste Erinnerung ist, dass ich mich in der hintersten Ecke des Grundstücks hinter den Mülleimerbehältern aus Waschbeton wiederfand. Dort kauerte ich erschrocken. Alle anderen waren mit der verunglückten Freundin beschäftigt, aber ich hatte mich versteckt. Einfach weggelaufen war ich und hatte meine Freundin im Stich gelassen! So war mein kindliches Gefühl und Denken. Irgendwann hörte ich, wie mein Name gerufen wurde, auch von meiner Mutter. Ich jedoch hockte hinter dem Betonblock und rührte mich nicht von der Stelle. Es war mir einfach nicht möglich, mich zu melden. Wieder empfand ich Schuld. Meine Mutter sorgte sich doch jetzt gerade. Warum nur sagte ich keinen Piep? Heute weiß ich, dass ich unter Schock stand.
Um das Erlebnis aufzuarbeiten, ging ich mit einem Seelsorger Jahrzehnte später im Gebet in diese Erinnerung hinein. Wir baten Jesus, sich darin zu zeigen. Zu meiner Verblüffung ging es Ihm überhaupt nicht um die konkrete Unfallsituation und meine Schuldfrage, bei der ich all die Jahre immer stehengeblieben war: War ich schuld daran, dass meine Freundin vor das Auto gelaufen war? Hätte ich aufpassen müssen? Dies war für Jesus gar kein Thema! Stattdessen „pflückte“ er mich wie Superman aus der Unfallsituation heraus und brachte mich hinter den Betonbehältern in Sicherheit. Er schützte mich vor weiteren schlimmen Bildern, die meine Seele nur belastet hätten. Und Er hielt mich im Arm. Seine Rettung brachte einerseits zum Ausdruck, dass ich geschützt werden musste. Und sie löste die jahrzehntelang empfundenen Schuldgefühle in Luft auf: Wenn Jesus mich aus der Situation heraus gerettet und in Sicherheit gebracht hatte, ohne sich noch weiter um die Schuldfrage am Unfallort zu kümmern, dann war dies für ihn offenbar auch kein Thema! Dann brauchte auch ich mich nicht mehr schuldig fühlen, dass der Unfall passiert war. Und mich auch nicht dafür schämen, dass ich weggelaufen war! Dann hatte ich auch niemanden im Stich gelassen! Er hatte die Situation hergestellt, in der ich mich als Kind befand! Wie wohltuend. Wie erleichternd für mich!
Gleichwohl - die Rufe meiner Mutter hatte ich in meinem Versteck nicht beantwortet und dafür fühlte ich mich immer noch schuldig. In der Gebetssituation empfand ich ein großes Verantwortungsgefühl und sagte zu Jesus: „Ich muss da doch hin! - Aber ich kann nicht!“ Und Er antwortete sehr souverän und gelassen mit eine schlichten „Shhhhhhhh… alles ist gut!“ - „Aber…ich muss doch...!“ - „Shhhhhhh… entspann dich. Alles ist gut. Du bist nicht zuständig!“ Wenn Er das sagte - war dann nicht auch diese Situation befriedet? Ich hatte keine Schuld! Ich hatte Jesus meine Not gesagt. Und Er hatte mich beruhigt und mir die Verantwortung für die Situation genommen. Ich durfte hier sitzen. Auch dies tat sehr gut und war für mich sehr befreiend.
Nun kam der Moment, in dem mich einer der suchenden Erwachsenen in meinem Versteck entdeckte. Er machte meine Mutter auf mein Versteck aufmerksam und sie kam, sicher sehr erleichtert, zu mir. Jesus stand auf einmal meiner Mutter zugewandt und mit dem Rücken zu mir, mit ausgebreiteten, mich schützenden Armen. In meiner kindlichen Erinnerung war der erste Satz, den sie damals sagte: „Da bist du ja! Warum hast du denn nichts gesagt?!“ Das war ein Vorwurf. In meinem inneren Bild jedoch stand Jesus schützend vor mir, und der Vorwurf traf Ihn! Dann drehte Er sich verschmitzt lächelnd zu mir um, die ich immer noch am Boden kauerte, und sagte nur ein Wort: „Lauf!“. Und ich flitzte laut lachend und jubelnd auf die Wiese hinter mir und sprang herum und lachte mit offenen Armen und dem Gesicht dem Himmel zugewandt.
Ich durfte Kind sein! Ich war nicht zuständig für die Gefühle meiner Mutter! Ich war total ok. Und ich durfte spielen! (Jesus kümmerte sich derweil um meine Mutter…) Dieses neue innere Erleben der damaligen Situation war zutiefst heilsam für meine (kindliche) Seele. Ich war nun freigesprochen von jeglicher Schuld und Scham! Aus empfundener Scham war ich wieder in Würde und Identität gebracht! Geliebt. Damals wie heute darf ich Kind sein. Ich darf „spielen“ und frei leben - und bin für viel weniger zuständig, als ich oft denke.
Mit etwa 13 Jahren, haben mich zwei Schulfreundinnen sehr beschämt. Spontan begannen sie, mich vor den vollbesetzten Schulbussen, anzuspucken. Es war ekelig und beschämend. Dazu kam, dass die vollen Schulbusse nur einige Meter entfernt standen. Über 100 Schüler konnten zuschauen. Mir war das so peinlich! Ich dachte, dass alle Zuschauer denken: „Es wird wohl an mir liegen und ich habe es verdient, weil ich etwas falsch gemacht habe. Darum werde ich so behandelt.“ Ich war so geschockt über das verrückte Verhalten dieser Freundinnen, aber ich konnte damals nicht aus der Situation heraus flüchten.
In einer Beratungsstunde habe ich dann Jesus eingeladen in mein Erinnerungsbild dieser Situation zu kommen. Und Jesus kam! Er stand genau an meiner Stelle und er hielt es souverän aus. Jesus hält das aus - er hält noch viel mehr aus und er hat sich nie selbst abgewertet. Mein Wunsch war ja gewesen, aus der Situation weg zu sein. Nun konnte ich von weitem zuschauen und bekam so eine neue Bewertung der Situation. Aus dieser distanzierten Sichtweise verloren sich die Emotionen von Scham und Schock.
Ein zweites Bild schenkte Gott: Jesus hatte viel Platz unter seinem Gewand, und ich war mit Jesus in der Situation aber von Jesus umgeben und von allen Seiten geschützt. Wie ein Hütchen bei "Fang den Hut". Er wollte mich nicht der Situation ausgesetzt lassen. Er nahm die Scham auf sich und er hat eine ganz andere Power. Diese inneren Bilder sind für mich Wunder und Geschenke Gottes, denn sie zeigen wie er ist.
Mein Name ist Judith. Ich bin 57 Jahre alt und vor etwa zwei Jahren konnte ich meine Scham wie ein altes Kleid ablegen. Hier ist meine Geschichte:
In einem kleinen Dorf in der damaligen DDR bin ich zusammen mit meinem 7 Jahre jüngeren Bruder sehr behütet aufgewachsen. Äußerlich hat es mir an nichts gefehlt, abgesehen von Mangelwaren wie Bananen und anderen speziellen Konsumgütern.
Emotional fühlte ich mich jedoch total unterversorgt. Ich sehnte mich immer nach körperlicher Nähe. Da meine Mutter sehr perfektionistisch war, konnte ich es ihr nie recht machen. Ganz oft gab sie mir das Gefühl, dass ich nicht genüge. So genoss ich es als kleines Mädchen, dass mein Papa abends auf dem Sofa mit mir herumtobte. Dabei kletterte ich auf seine Unterschenkel und er stemmte mich hoch in die Luft und wirbelte mich herum. Das waren Momente, in denen ich glücklich war und ich mich angenommen und geliebt fühlte.
Doch ich wurde größer und mit ca. 10 Jahren begann mein Körper sich zu verändern. Eines Tages stürzte ich mich wieder unbeschwert auf meinen Papa, um mit Ihm rumzualbern. Da nahm er mich von seinen Beinen runter und erklärte mir, dass ich jetzt schon groß bin und er deshalb nicht mehr mit mir rumhopsen wird. Diesen Platz nahm dann mein kleiner Bruder ein. Ich dachte: „Was stimmt mit mir nicht? Was stimmt nicht mit meinem Körper?" Eine sehr tiefe Traurigkeit legte sich über mein Leben. Ich zog mich beschämt zurück und verschloss diese schmerzhaften Gefühle tief in mir. Von da an wollte ich nicht mehr gesehen werden, bzw. nicht mehr auffallen.
Ich war immer ein sehr braves, ruhiges und angepasstes Kind. Dazu kam die gesellschaftliche Prägung, dass man nicht sagen durfte was man denkt, denn das konnte gefährlich werden. Ich wollte einfach allen Erwartungen genügen und es allen recht machen. So hatte ich meistens meine Ruhe. In der Schule war ich sehr fleißig und wunderte mich manchmal, dass die Lehrer mich lobten. Das Schlimmste war für mich, wenn ich vor den Mitschülern ein Gedicht aufsagen oder einen Vortrag halten musste. Ich hatte auch nur wenige Freundinnen, denn Ich dachte immer, dass ich nicht so wichtig bin und es auch nicht wert bin, dass mich jemand mag. Mit diesem Selbstschutz konnte ich meine Kindheit bewältigen.
In meiner Kindheit entstanden damals folgende inneren Glaubenssätze:
„Ich genüge nicht!“
„Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden !“
„Ich bin es nicht wert, dass sich jemand um mich kümmert.“
„Ich darf keine Fehler machen und ich darf nicht schwach sein.“
„Ich darf keine eigene Meinung haben.“
„Gefühle sind unwichtig und schlecht.“
Eine innere Festlegung, die ich damals nach der Zurückweisung durch meinen Vater getroffen hatte, ist: „Wenn sich Erwachsensein sooo anfühlt, dann will ich nicht erwachsen werden!“
Mit etwa 11 Jahren bekam ich Kontakt zu einer örtlichen christlichen Gemeinde. Dagmar, ein größeres Mädchen, holte mich regelmäßig zu Hause ab. Ich besuchte die Kinderstunden und hörte zum ersten Mal Geschichten aus der Bibel. Anfangs war ich sehr schüchtern und wollte nicht angesprochen werden. Doch bald war ich voll Eifer dabei. Ich fand es auch einfach herrlich, mit den anderen herumzutoben. Aber natürlich in Maßen! Auf einer Kinderfreizeit entschied ich mich, Jesus in mein Leben zu lassen. Ich las jeden Tag in der Bibel und versuchte die Worte zu verstehen.
Dagmar ist heute noch meine Freundin. Sie hat mich all die Jahre treu begleitet und mich in schwierigen Zeiten ausgehalten, wertgeschätzt und ermutigt. Sie hat für mich gebetet und mich geliebt, auch wo ich das noch gar nicht für mich annehmen konnte.
Mit 15 Jahren lernte ich Johannes kennen. Er war genau das Gegenteil von mir, laut und witzig und er redete viel. Nur einmal wurde er ganz still, als er mich das erste Mal in den Arm nahm. Ich spürte diese bedingungslose Liebe zu mir. Diese eine Berührung reichte aus. Meine eingefrorenen Gefühle tauten auf; ich weinte vor lauter Glück und legte meine Scham kurz beiseite. Endlich war da jemand, der mich liebte, der meinen Körper liebte, und der auch Gott kannte. „Jetzt kann ich endlich glücklich sein“, dachte ich.
Johannes war 3 Jahre älter als ich und als ich 18 wurde, konnten wir endlich heiraten. Unser erstes Kind war bereits unterwegs und wir waren überglücklich. Als ich während der Geburt ganz allein im Kreißsaal war, wollte mich ein Arzt „untersuchen“ und hat mich dabei tief beschämt, erschreckt und gedemütigt. Erst 20 Jahre später konnte ich darüber reden.
Mittlerweile sind wir über 40 Jahre verheiratet und miteinander durch sehr viele Kämpfe und sehr viel Schmerz gegangen. Unsere Beziehung war durch meinen großen Mangel an Nähe und Zuwendung sehr belastet. Ich klammerte mich total an Johannes und merkte nicht, dass ich ihn damit nur von mir wegtrieb. Er ging oft einfach angeln oder in die Gemeinde, um meiner Umklammerung zu entfliehen. Ich hatte die Kinder und ging in meiner Mutterrolle auf. Jedoch tief im Herzen war ich sooo einsam. Meine Scham hatte mich im Griff. Ich verschloss meine Gefühle immer wieder und lenkte mich durch meine täglichen Aufgaben ab.
Johannes und ich hatten dann viele Jahre intensiven Kontakt zu Team.F in unserer Region. Unsere Ehe wurde erträglicher und ich schöpfte neue Hoffnung. Wir erlebten, dass wir mit unseren Problemen nicht allein sind. Etliche Jahre waren wir sogar Mitarbeiter. Es war für mich so unglaublich, dass mir hier jemand zutraute, vor vielen Menschen frei zu reden. Und die Freundschaften waren so wohltuend und herzlich. Ich genoss jede Umarmung und erlebte viel Wertschätzung. So kam ich wieder in Kontakt mit meinen Gefühlen und spürte meine ganz tiefe Sehnsucht nach einem Vater- nach Gott, aber der war irgendwie sehr weit weg!
Irgendwann erlebte ich Vaterschaft durch einen väterlichen Freund. „Ja so fühlt es sich an von einem Vater geliebt zu werden!“ schrie mein Herz. Ich entwickelte eine tiefe Liebe zu dieser Person und suchte, wo es nur ging, seine Nähe. Es war keine erotische Liebe, ich liebte ihn als Vater. So entschied ich mich, meine Gefühle wieder zuzulassen. Andererseits schämte mich sehr für sie. Ich war von meinen Gefühlen überwältigt und gleichzeitig verwirrt. Als ich merkte, dass der Mann sich von mir distanzierte, schämte mich noch mehr. Neben diesem tiefen Schamgefühl war in mir die Botschaft: „Ich bin es nicht wert, dass ich jemand so tief lieben darf.“ Und auch: „Ich bin nicht liebenswert, weil er sich zurückzieht.“
Wieder fühlte ich mich wie das kleine verletzte Mädchen von damals, dass vom Vater abgelehnt wurde. Immer noch suchte ich nach der verlorenen Vaterliebe, und wo immer ich einem väterlichen Mann begegnete, war ich in Gefahr. Doch ich wollte nie wieder diesen Schmerz der Ablehnung erleben.
Meine Sehnsucht wird gestillt
Bei der Zeltstadt im Jahr 2004 half mir ein Workshop mit Ton zu finden, wonach ich so lange gesucht hatte. Das Thema lautete: Meiner Sehnsucht auf der Spur. Ich ließ mich auf keine Unterhaltung mit den anderen Teilnehmern ein, sondern versunken in mich selbst arbeitete eine Woche lang jeden Vormittag mit einem großen Stück Ton. Zunächst formte ich ein Herz und erlebte dabei innerlich, wie Jesus mein Herz behutsam und vorsichtig in seiner Hand hält. Er hielt mein Herz fest, damit es nicht fällt und er flüsterte mir zu, dass Papa im Himmel mich liebt und ich auch SEIN Herz berühren darf.
Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich viele Tränen vergossen. Aber die Scham hinderte mich daran. Außerdem hatte ich Angst, dass alles wieder kaputt geht. Jeden Augenblick habe ich innerlich genossen und diese Liebe aufgesaugt. Und dann traute ich mich, mich selbst in dieses Herz hinein zu modellieren. Ich wollte nicht nur am Herzen meines Vaters, sondern IM Herzen meines Vaters SEIN. Dort kann ich nicht mehr herausfallen. Durch diese tiefe Erfahrung bin ich endlich innerlich beim Vater angekommen. Nun brauche ich nicht mehr suchen und kann ganz entspannt eine Umarmung mit väterlichem Segen von väterlichen Menschen empfangen.
In den vergangenen Jahren konnte ich immer tiefer in diese Vaterliebe Gottes eintauchen. Das gab meinem Leben ein festes Fundament. Da ist so viel Freiheit und Weite in mein Leben gekommen! Immer noch lerne ich was es bedeutet, geliebt zu leben. Ich lerne, dass ich geliebt bin und mich selbst nicht verdammen brauche, wenn ich Fehler mache oder mal wieder mit meinen Gefühlen kämpfe, oder wenn alte Muster in mir anspringen und ich schwach bin oder ich mich traurig oder einsam fühle.
Meine Scham wird überwunden
All die Jahre war mir nicht bewusst, dass meine Scham stärker war, wie mein eigener Wille und der Wunsch, die alten Prägungen hinter mich zu lassen. Ich arbeite immer noch als Erzieherin im Kindergarten und machte verschiedene Zusatzausbildungen. Jedoch verhinderten meine Scham und meine Minderwertigkeit, dass ich dann weitergehen konnte. Jahrelang traf ich mich mit anderen Beraterinnen in einer Intervisionsgruppe, aber ich fühlte mich stets minderwertig und fehl am Platz.
Dann kam vor etwa zwei Jahren ein Gastprediger aus den USA in unsere Gemeinde. Er war sehr ruhig und strahlte trotzdem Sicherheit aus. Mit ruhiger, sanfter Stimme erzählte er, wie er sehr viele Jahre mit Scham gelebt hatte und was die Auswirkungen in seinem Leben gewesen waren. Dann berichtete er, wie er seine Scham hinter sich lassen konnte. Ich fühlte mich total angesprochen und ging für ein Segensgebet zu ihm. Ich erzählte ihm, dass ich viele Parallelen in meinem Leben gefunden habe und ich mir wünsche, dass meine Scham endlich auch aus meinen Leben verschwindet.
Im Gebet konnte ich dann meine Scham ablegen wie einen alten Mantel, der nicht mehr zu mir passt. Unter dem Segen des Predigers spürte ich, wie mich die Macht der Scham verließ. Seitdem bin ich frei von Scham und merke in vielen Alltagssituationen, dass die Scham in meinem Leben keinen Raum mehr hat.
In der Intervisionsgruppe fühle ich mich nun richtig und nicht mehr fehl am Platz. Ich traue mir selbst mehr zu, weil Gott mir etwas zutraut. Es ist großartig, an einen Gott zu glauben, der auch an mich glaubt! Ich traue mich, meine Meinung zu sagen, auch wenn es mal Konflikte gibt. (Okay- das ist noch ausbaufähig!) Leider gibt es in meinen Leben noch Momente, wo ich den alten Glaubenssätzen auf dem Leim gehe. Aber ich brauche mich nicht mehr dafür zu schämen, wenn ich mal wieder daneben bin. Und ich darf gelassen und gespannt in eine andere berufliche Zukunft gehen; ohne Scham und Schritt für Schritt an der Hand von meinem himmlischen „Papa“.
Nachtrag
Gerne möchte ich noch erwähnen, dass ich heute zu meinen Eltern ein sehr gutes Verhältnis habe. Der erste Schritt war Vergebung - und das nicht nur einmal. Ich habe viel innere Heilung erlebt und erlebe sie noch. Daraus ist ganz viel Freiheit im Umgang mit meinen Eltern gewachsen. Ich bin ihnen für so Vieles dankbar und ich weiß, dass sie der kleinen Judith auch nur das geben konnten, was sie selbst hatten. Heute liebe ich sie von ganzen Herzen und bin gerne mit ihnen zusammen. Zu meiner eigenen Familie gehören 6 Kinder und 9 Enkelkinder. Gottes Gnade in unserem Leben ist groß!
Ich fände es gut, wenn mit interessierten Lesern in Kontakt kommen könnte. Es würde mich freuen, auf diese Weise Menschen helfen zu dürfen.
Ich bin 49 Jahre alt, glückliche Ehefrau, erprobte Mutter von drei Söhnen und dies ist meine Beschämungsgeschichte:
Schon als kleines Mädchen gehörte Beschämung zu meinem Alltag. Doch erst als Erwachsene verstand ich durch Beratung und Therapie, wie meine Reaktionen darauf mein Leben beeinflussten, und welche Macht die früher getroffenen Entscheidungen noch Jahrzehnte später haben.
Als ich sechs Jahre nach meiner Schwester geboren wurde, war der Platz im Herzen meiner Mutter bereits durch sie „besetzt“. Ich habe dann versucht, ihn mir durch gutes Benehmen zu verdienen und wenn das nicht ging, wenigstens keine Ablehnung und Abwertung zu erhalten. Mit aller Kraft bemühte ich mich, mich anzupassen und für sie eine gute Tochter zu sein, um die gleiche Liebe wie die ältere Schwester zu erhalten.
Meiner Mutter war es sehr wichtig, dass wir Kinder dem damaligen Schlankheitsideal entsprachen. Das zeigt bereits der erste Satz, den sie bei meiner Geburt aussprach: „Oh, wat ne Dicke!“ Diese Aussage zog sich in allen abwertenden Varianten durch meine Kindheit und Jugend. In den Augen meiner Mutter war ich falsch – falsch als ganze Person! Dies wurde meine Überzeugung, meine Identität, mein innerer Glaubenssatz. Erst recht, als ich begriff, dass sie ständig über übergewichtige Menschen lästerte, mich jedoch zu Hause mit besonders dickmachenden Lebensmitteln ernährte, um mich dann in der Öffentlichkeit wieder bloß zu stellen für mein Aussehen. Dies führte in mir zu einer tiefen Verwirrung und ich schäme mich ständig für mein Aussehen! Ich mochte mich nicht zeigen und wollte auch nicht, dass jemand mich anschaut und sich seinen vermeintlichen (abwertenden) Teil denkt.
Mein Bedürfnis nach Annahme blieb also zutiefst unbeantwortet. Ich war innerlich wie ausgehungert. Auf meiner Suche nach Zuneigung und Zugehörigkeit geriet ich als junger Teenager an Menschen, die dieses emotionale Loch in mir vermeintlich füllten. Doch ihre Absicht war lediglich, mich emotional an sie zu binden und mich jahrelang sexuell zu missbrauchen. Für diese massiven körperlichen und seelischen Grenzüberschreitungen gab ich ganz allein mir die Schuld, denn es wurde mir von ihnen eingetrichtert, es selbst so zu wollen. Ich glaubte ihnen, denn ich war ja sowieso „falsch“ in allem, was ich wahrnahm. Diese Beschämung brannte sich noch viel tiefer in mein Inneres hinein als die, die ich zu Hause erlebt hatte. Lange Zeit hatte ich Angst, dass mir auf der Stirn – und damit für alle sichtbar – geschrieben steht, welch ein falscher, dreckiger und verachtungswürdiger Mensch ich bin. Heute weiß ich, dass ich durch diese Erlebnisse auch schwer traumatisiert war.
Als Erwachsene wollte ich dann nie wieder etwas mit diesen alten Gefühlen zu tun haben und vermied alles, was sie hätte aktivieren können. Ich hoffte, dass es ausreichte, Jesus alles zu sagen, ihm die Not zu reichen und damit von ihr frei zu werden! Doch die Scham blieb, sie klebte an mir und hielt mich klein. Sie stand mir mit ihrem „Ich bin falsch!“ ständig im Weg, in gesunden Beziehungen zu leben. Schließlich wollte ich diesen „Stempel“ loswerden und suchte eine Seelsorgerin auf.
Dieser Beraterin konnte ich vertrauten und durch ihre Ermutigung irgendwann einen für mich sehr wichtigen Schritt gehen: Endlich traute ich mich und fand Worte, um ihr meine tiefsten Schamgefühle zu offenbaren. Zum ersten Mal wurde ich sprachfähig und konnte die tiefen Wunden der Beschämung teilen. Ich dachte: „Jetzt hast du es geschafft!“ Doch ich erlebte nach diesem Kraftakt nicht die erhoffte Erleichterung und Heilung. Nur ein überwältigendes Gefühl von neuer, schmerzhafter Scham- denn nun schämte ich mich vor meiner Beraterin und war überzeugt: „Nie wieder wirst du diesem Menschen in die Augen schauen können, jetzt, nachdem sie weiß, wer du wirklich bist! Indem du es offengelegt hast, hast du dafür gesorgt, dass die Beratung beendet ist.“ So wurde ich von meiner Schamangst gequält und fühlte mich einer wichtigen Beziehung beraubt.
Doch ich erlebte, dass meine Beraterin sich nicht so verhielt, wie die Menschen meiner Kindheit und Jugend es getan hatten: Sie blieb an meiner Seite und hielt mit mir die schlimmsten Schamgefühle aus. Ich war damit nicht mehr allein! Ich erlebte bei ihr, dass die Verletzungen, die durch negative Beziehungen entstanden waren, durch diese neue, ganz andere Qualität von Beziehung, heilen konnten.
Das war für mich die Brücke, um Jesus hören zu können und anzunehmen, dass auch er mich NICHT FALSCH findet. Aber Heilung war ein längerer Weg, denn ich hatte den Lügen sehr lange geglaubt. Jesus ging jedoch diesen Weg mit mir und ich erlebte, dass die Macht der Scham mehr und mehr abnahm. Doch da sie so untrennbar zu mir gehört hatte, spürte ich nun auch, dass mir etwas fehlte. Dort, wo Scham und Beschämung in mir gewohnt hatten, war ein leerer Raum entstanden.
Wenn ich in dieser Zeit im Lobpreis oder einem sonstigen Zusammenhang das Wort „Würde“ hörte, horchte mein Inneres auf. Das suchte und das brauchte ich, um den leeren Raum zu füllen! Zu dieser Zeit konnte ich mit der Bedeutung des Wortes „Würde“ nichts anfangen – es war einfach nur ein leeres Wort für mich. Ich brauchte Erklärungen, was Würde im Hier und Jetzt bedeutet. Würde lässt sich nicht messen, nicht definieren, nicht erklären. Woran sollte ich merken, dass ich würdig bin? Ich suchte in jeglicher Literatur nach Antworten, um zu verstehen, wie sich Würde anfühlt, damit dieses Wort für mich endlich greifbar und lebendig werden konnte.
Heute bin ich überzeugt, dass Würde viel mehr als nur meinen Wert beschreibt. Weil sie mir von Jesus gegeben ist und er sie bestätigt, ist sie unabhängig von dem, was mir Menschen sagen und was ich leiste. Egal, wie meine Lebensumstände sind, habe ich die gute Gewissheit, tief in mir um meine Identität und mein Selbstverständnis, um mein SEIN, zu wissen. Ich kann und brauche mir meine Würde nicht erwerben, verdienen oder erarbeiten, ich kann sie auch nicht messen oder vermehren. Sie ist mir geschenkt worden, als Gott mich als sein Ebenbild geschaffen hat, und niemand und nichts wird sie mir wieder rauben.
Wir kennen Klaus seit etlichen Jahrzehnten. Als er überraschend Heilung von seiner Kindheitsscham erlebte, war er bereits 70 Jahre alt. Seit seiner Pubertät hatte er sich mit einem beschämenden Erlebnis herumgeschleppt, ohne dafür Heilung zu finden. Gerne lassen wir Sie an Klaus‘ Erfahrung teilhaben, denn in seiner Geschichte finden sich alle typischen Merkmale einer kindlichen Beschämungserfahrung und wie eine Begegnung mit Jesus Trost gibt und die verlorene Würde wiederherstellt. Er hat seine Geschichte so aufgeschrieben:
„In einem Seelsorgeseminar, ging es um Gottes Vaterliebe. Als wir das Lied sangen: “Where the spirit of the Lord is, there is freedom, no shame on their face…“ (Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit, ihr Gesicht ist nicht mehr schambedeckt…; CD „Freedom” von Michael Lars, Toronto) klickte etwas in mir und mich erfasste eine tiefe Sehnsucht danach. Ich wusste erst nicht warum. Ich wusste nur: das habe ich nicht, aber da will ich hin. Plötzlich wurde mir bewusst: Da ist noch tiefe Scham in meinem Leben. Ich fühlte mich wie im Nebel, es war da etwas Unklares, aber Bedrückendes, das zwischen mir und Gott und mir und den Menschen stand. Und eine plötzlich aufflammende Hoffnung: Ich kann da heraus!
Das Gefühl einer zutiefst empfundenen Verlassenheit und Einsamkeit und Unsicherheit hat mich seit der Pubertät mein ganzes Leben sehr geprägt, dieser stumme Schrei nach meinem Papa, der zwar da war, aber nicht für mich erreichbar war, er sprach nicht mit mir. In mir war die angstbesetzte Überzeugung: „Ich bin es nicht wert, dass man mit mir über meine Gefühle spricht“ und die Überzeugung, „dass man über so etwas nicht spricht und ich nicht normal bin.“ Und es gab die Überzeugung: „Damit muss jeder allein fertig werden.“
Nun stand mir plötzlich ein ganz bestimmtes Erlebnis vor Augen, eine Situation wo mein Vater mich besinnungslos geschlagen hatte. Ich dachte: „Nein, das kommt aus meinem Verstand, das habe ich doch längst bearbeitet in der Seelsorge.“ Aber nachdem ich mich wiederholt vergeblich gegen diese Erinnerung gewehrt hatte, wusste ich: der Heilige Geist will dorthin gehen. - Was war die Situation?
Als 11-jähriger hatte ich mit einem Draht einen Weidezaun unter Strom gesetzt. Leider bekam der angesehene Gutsverwalter einen Stromschlag und beschwert sich bei meinem Vater. Mit schlechtem Gewissen stand ich in der Küche, als mein Vater hereinkam. Ohne ein Wort zu sagen holte er aus, und schlug mich nieder. Ich hatte keinen körperlichen Schmerz gespürt, denn ich war sofort besinnungslos. Jetzt sah ich mich auf dem Boden liegen. Als ich da lag, spürte ich einen tiefen Schmerz.
Mein Vater hatte nicht mit mir gesprochen, auch später nicht, die Situation wurde einfach totgeschwiegen. Das hat mich sehr verletzt, dass ich als sein einziger Sohn es ihm nicht wert war, mit mir darüber zu reden. Ich war seitdem tief verunsichert, fühlte mich wertlos, verachtet, überflüssig und verwirrt, ohne Identität. Ich schämte mich sehr. Als mein Vater starb, ich war damals 33 Jahre alt, da war mir so, als wenn der Boden unter meinen Füßen weggerissen würde und ein tiefer Schrei war in mir: „Papa, du hast vergessen mir meine Identität zuzusprechen“.
Aber jetzt nahm ich innerlich wahr, dass Jesus in der Küche bei mir stand und einfach sagte: „Komm, steh auf.“ Er streckte seine Hände aus und nannte ganz zärtlich meinen Namen: „Klaus“. Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, hat mich zutiefst berührt, sodass ich weinen musste vor Glück. Jesus nannte mich nicht Sohn oder Kind, sondern er rief mich bei meinem persönlichen Namen. Das traf mich in meinem tiefsten Inneren und ich spürte: Ich bin rehabilitiert, alle Lügen über mich sind entlarvt.
Es war so, wie es diese Bibelstelle sagt: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein! Klaus, du bist verzeichnet im Buch des Lebens! - Meinen Namen von höchster Stelle zu hören, war wie ein Festmachen, ein verankert sein, und nicht mehr wie ein Schmetterling irgendwo ohne Identität herumzuflattern.
Nun ist keine Scham mehr auf meinem Gesicht, sondern: „Mercy and Grace - die Herrlichkeit Gottes. Nicht mehr die Elendigkeit von Scham und Schande sollen mein Leben bestimmen. Mein Herz ist weich geworden, durch die geoffenbarte Liebeserklärung Jesu ganz persönlich für mich. Diese erlebte Zärtlichkeit ließ mich plötzlich in Tränen ausbrechen als ich in unserer Gemeinde vorne stand und ganz cool berichten wollte, was ich erlebt hatte.“
Kommentar der Autoren:
Wir erfahren hier wichtige Informationen über den Täter (Klaus Vater) und die Gesamtsituation. Das erklärt, warum solch ein Erlebnis so tief beschämend wirkt.
Das Ganze geschah in den 40er Jahren. Der Vater war wohl selbst sehr beschämt. Wenn damals eine angesehene Person einen Mann zur Rede stellte wegen seines Sohnes, dann war das Gespräch für den Vater sicherlich unfreundlich und wieder beschämend. Vor einem angesehenen Mann will jeder gut dastehen. Wahrscheinich war die Botschaft an ihn, dass er in der Erziehung versagt hatte. Jedenfalls war er selbst nach dem Gespräch mit dem Verwalter voller Zorn und Scham, sonst hätte er nicht so heftig gehandelt. Dieses Zorn-Schampaket reicht er seinem Sohn mit seinem Schlag weiter – er hatte die Kontrolle verloren. Er redete nicht, er handelte einfach. So machte man damals Kinder durch Beschämende Strafen gefügig, damit sie nie mehr etwas taten, was den Eltern Unehre machen könnte. Mit diesem einen Schlag und seiner absoluten Sprachlosigkeit entwürdigt er jedoch seinen Sohn und steckte ihn in ein Schamgefängnis, das sich erst nach 60 Jahren wieder öffnen würde.
Aber auch die Mutter trug dazu bei, dass der Schlag des Vaters so tief beschämend war. Ihr Schweigen bedeutete Zustimmung zur Handlung des Vaters. Damit hatte der Sohn die mögliche Zuflucht und Entlastung verloren, die sie als zweite Autoritätsperson hätte geben können.
Das ist ein typisches Muster, wie durch körperlichen Missbrauch Beschämung geschieht und das Opfer fortan in einem quälenden Schamgefängnis leben muss. Das Handeln des Täters wird gedeckt und legitimiert durch das soziale Umfeld, denn Schweigen bedeutet Zustimmung.
Es war gegen Ende der neunziger Jahre in meiner damaligen Kirchengemeinde. Man hatte mich beschämt, eingeschüchtert und vorgeführt. Ich fühlte mich unehrenhaft aus dem Dienst als Pastor entlassen. So, als hätte ich ein schweres Dienstvergehen begangen. Es waren unterschwellige Schuldzuweisungen. Man nannte das in der Kirchenleitung „ungedeihliche Zusammenarbeit“.
Wir haben dann eine andere erfüllende Aufgabe gefunden, aber unser damaliger Supervisor empfand, dass wir nicht mutig vorwärts gingen, sondern eher wie mit angezogener Bremse unterwegs waren. Ja, die Last der Vergangenheit, die Last der erlebten Beschämung, lag schwer auf uns und machte unser Denken und Handeln zäh. Meine innere Trauer und Scham zeigte sich auch in meiner Kleidung: es war mir nicht nach leuchtenden Farben. Grau war meine bevorzugte Farbe. Das geschah unbewusst. Nach einiger Zeit schlug der Supervisor vor, ob wir die Vergangenheit annehmen, womöglich ablegen und begraben wollten, um innerlich frei zu sein für das Neue.
„Aber wie macht man das?“ fragten wir uns und andere. Es müsste ein Ritual gefunden werden, um das Alte abzulegen und neue Würde zu empfangen. Wir sprachen darüber mit Freunden und fragten, ob sie uns behilflich sein könnten. Ihnen schütteten wir unser Herz aus und gingen gemeinsam in die Stille vor Jesus. Da wurde es uns klar, wie es gehen könnte. Ich wollte ein Symbol finden für meine schweren Gefühle und meine Frau wollte ihre Last in einem Gebet aufschreiben. Ich suchte länger nach einem schweren Stein, aber in jener sandigen Gegend war es schwer, einen entsprechenden Stein mit großem Gewicht zu finden. Bei der Suche entdeckte ich jedoch auch ein mir wundersam erscheinendes Blatt: auf einer Seite war es grün und auf der Unterseite strahlend weiß. Es war wie eine neue Seite des Lebens. Blatt und Stein nahm ich mit. Dann legten wir alles ab auf einem Tisch, der uns als Altar diente. Wir sprachen nochmals Vergebung aus, empfingen Vergebung für unsere Anteile und Zuspruch von unseren Freunden. Dann haben uns die Freunde gesegnet.
Diese Handlung hat uns innerlich freigesetzt. Nun war ich bereit für einen herrlich roten Pullover, den ich seitdem gerne trage. Die Zeit der gedeckten Farben, unbewusste Zeichen meiner Scham, war vorbei, meine Würde war wiederhergestellt.
Ab meinem dreizehnten Lebensjahr habe ich immer wieder sexuelle Übergriffe erlebt; häufig von Personen, zu denen ich Vertrauen hatte. Es begann, als ich mit 13 Jahren bei einer goldenen Konfirmation in der Gemeinde mithalf und im Nebenraum vom Messner plötzlich abgeknutscht wurde. Er war nicht gerade der Mann, von dem ich mir den ersten Zungenkuss gewünscht hätte. Immer wieder hatte ich solche Erlebnisse, sei es der Lastwagenfahrer, der nackig auf seinem Sitz saß und dessen Blick ich unweigerlich folgte, mein Fahrlehrer, der mich in der Autowaschanlage begrapschte und abknutschte, oder der Pfarrer beim Taufgespräch (ich war Patentante), der mich mit Worten und körperlich anmachte, mich umarmte und küsste. Selbst noch im Alter von gut 30 Jahren hat sich ein Verkäufer im Fahrradgeschäft, trotz der Anwesenheit meiner drei Kleinkinder, extrem dicht an mich gedrückt und mir über die Wange gestreichelt. Und es gab weitere Erlebnisse dieser Art.
Allen Situationen gemein war, dass es für mich überraschend kam und ich jedes Mal neu unfähig war in irgendeiner Weise zu reagieren und mich abzugrenzen. Ich ließ es geschehen, aber verachtete mich anschließend selbst dafür und gab mir die Schuld: „Warum bin ich auch immer so naiv und gutgläubig?“ Ich fühlte mich beschmutzt und beschämt. Trotz seelsorgerlichen Gesprächen, in denen es darum ging, den Tätern zu vergeben, fand ich keinen guten Weg, damit umzugehen, außer es zu verdrängen - bis es wieder passierte.
Verschiedene innere Glaubenssätze, Denk- und Verhaltensmuster haben sich daraus entwickelt, wie: „Andere dürfen meine Grenzen überschreiten“, oder: „Mein mich öffnen, auf andere zugehen, wird missbraucht“, oder: „Ich bin selbst daran schuld, weil ich immer so naiv bin.“ In der Folge entwickelte ich ein tiefes Misstrauen Männern gegenüber. Ich wollte gefallen, durfte mich aber nicht zeigen. Ich fühlte mich wertlos und minderwertig. Das Männerbild, das ich daraus entwickelte, war, dass Männer mich nur benutzen wollen und ihnen nichts an mir als Person liegt. Sexualität war für mich schmutzig und auf keinen Fall ein Geschenk.
Dennoch ging ich mit großen Hoffnungen in meine Ehe, in der die Sexualität aus meinem christlichen Verständnis heraus, einen guten Platz haben durfte. Im Anfang war auch alles gut, aber je weniger Aufmerksamkeit ich von meinem Mann im Alltag erhielt, umso empfindlicher reagierte ich, wenn er mit mir schlafen wollte. Dann fühlte ich mich wieder nur benutzt. So reihte ich ihn ein in die Reihe der Täter und meiner Verurteilungen: dass er genau so ist, wie die anderen und dass es ihm nicht um mich geht, sondern er mich nur benutzen möchte. Zunehmend verlor ich die Freude an der Sexualität. Sie wurde immer mehr zu einer Verpflichtung - als Geschenk, konnte ich sie jedenfalls nicht mehr empfinden. Und auch dafür fühlte ich mich schuldig.
Jahrelang habe ich wiederholt versucht, jemanden zu finden, der dieses Thema mit mir aufarbeitet. Aber irgendwie blieb es an der Oberfläche und half mir nicht wirklich. Dann machte ich die Ausbildung als seelsorgerliche Begleiterin bei Team.F. Dazu gehört eine intensive persönliche Selbstreflexion mit Hilfe einer erfahrenen Beraterin. Dabei erlebte ich endlich das, wonach ich jahrelang gesucht hatte. Die Beraterin begleitete mich bei einer inneren Jesusbegegnung, in der ich verschiedene beschämende Szenen aus meiner Erinnerung wahrnehmen konnte. Ich durfte wahrnehmen, dass mir etwas sehr Kostbares verloren gegangen war. Jesus teilte meine Trauer darüber. Endlich war Raum dafür. Dies bewirkte für mich einen großen Unterschied: Schuld und Scham sind seitdem weg und meine Würde ist wiederhergestellt.
Dies waren meine inneren Bilder:
Ich habe den Eindruck von Wunden, die unterschiedlich tief sind. Jesus nimmt jede einzelne dieser Wunden wahr. Er sagt mir, dass es ihm leid tut für jede einzelne Wunde, die mir zugefügt wurde und dass er meinen Schmerz sieht und auch den Schmutz, den ich damit verbinde. Ich fühle mich wie ein Kind, das reichlich schmutzig ist und nicht mehr gut ansehbar. Jesus geht mit mir zu einem Wasserfall und stellt sich mit mir gemeinsam darunter. Aller Dreck wird aus den Wunden ausgespült, auch die Tränen werden mitgenommen. Jesus spricht mir zu: „Du bist reingewaschen durch mich.“ Danach fangen meine Wunden an zu heilen. Dennoch habe ich den Eindruck: „Ich brauche noch einen zusätzlichen Schutz.“ Jesus bietet sich als Schutz an, das ist gut. Aber da ist noch ein Klumpen … dunkel und scharfkantig, unangenehm in der Hand zu halten. Jesus steht neben mir, hat den Arm um mich gelegt, er sieht den Klumpen an. „Jesus, ich will ihn loswerden.“ Ich darf ihn ihm geben. Wofür steht er? Für die Krusten, die als Schutz um mein Herz waren. Ich brauche einen neuen Schutz. Ich darf vertrauen und Grenzen setzen. Und: Jesus legt seine Hände um mein Herz, die sind jetzt der Schutz. Ich darf ihn immer um Hilfe bitten. „Jesus, wie ist das mit der Sehnsucht gesehen zu werden, die immer von Männern falsch verstanden wurde?“ – „Komm zur Quelle.“ – „Stille deine Sehnsucht nicht woanders.“ Wo ist die Quelle? Jesus geht mit mir zum Vater, ich darf mich bei Papa auf den Schoß setzen, er hat keinen Blick für etwas anderes, so wie wenn ich die einzig wichtig Person für ihn bin. Ich darf bei Papa sitzen bleiben, solange ich möchte, da ist mein sicherer Platz, mein Zufluchtsort. Papa freut sich, dass ich da bin. Ich darf jederzeit zu ihm kommen. Er sagt mir: „Ich nehme dich wahr, unter meinem liebevollen Blick bist du immer geborgen.“ Das fühlt sich gut an, es stärkt mir den Rücken. Ich kann mich wieder aufrichten, darf den Kopf heben, wie eine stolze, erwachsenen Frau. Ich habe Würde, kann die Krone nur tragen, wenn ich den Kopf hebe. Gott ist es, der mein Haupt erhebt. (Ps.3,4)
Ein neues Bild entsteht. Ich laufe, die Wunden sind am heilen, ich trage einen Rucksack, in dem die Bilder sind, von all den beschämenden Erlebnissen. Die Bilder sind noch da und belasten mich. Jesus fragt, ob er mir den Rucksack abnehmen darf. Ich übergebe ihn an ihn. Ich möchte die Bilder gerne loswerden, sie nicht mehr anschauen. Ich wünsche mir, dass diese Bilder kein Recht und keinen Platz mehr in meinem Leben haben. Der Rucksack wird im Wasser versenkt. Gott spricht mir zu, dass die Bilder keine Macht mehr haben. Stattdessen rufen wir Reinheit und neue Gedanken über Männer denken können, in mein Leben. Gott legt mir einen Samen in die Hand. Ein Hoffnungspflänzchen darf daraus wachsen. Ich mache mir Sorgen, dass diese kleine Pflanze zertrampelt wird, ich wünsche mir Jesu Hilfe, sie zu schützen und zu gießen, ich habe Angst, dass ich dieser Aufgabe allein nicht gewachsen bin. Jesus sagt: „Ich passe mit auf sie auf.“ Das Pflänzchen steht für einen neuen Umgang mit Sexualität, im Sinne von Geschenk, nicht von Aufgabe. Vertrauen wächst wie ein Baum, aber es fängt klein an.
Wir sprechen darüber, dass die Schuld und Scham des Täters auf das Opfer übergehen. Ich möchte sie gerne loswerden. Auf die Frage, wo ein guter Platz dafür wäre, habe ich sofort das Bild einer Waldlichtung vor Augen. Das ist ein geschützter Platz für mich, weit weg und nicht einsehbar für andere. Dort stehe ich mit Jesus. All die Schuld und Scham, fühlt sich an, wie klebriger, schlotziger Schleim, der an mir haftet, überall an mir klebt, total ekelig. Diese Schuld und Scham gehören eigentlich nicht zu mir, sie ist von den Tätern zu mir geflossen.
Jesus kommt mit einem großen Naturschwamm und wäscht all die Schuld und Scham von mir ab. Neben ihm steht ein Eimer, in dem er den Schwamm immer wieder auswäscht. Es fühlt sich gut an, von Jesus so liebevoll gereinigt zu werden. Er sieht mich dabei mitfühlend und voller Liebe an. Als all der Schleim von mir abgewaschen ist, darf ich in einen großen Badezuber steigen, um auch noch die letzten Reste loszuwerden. Das Wasser ist angenehm warm und riecht frisch und zitronig, ich tauche in dem Wasser unter. Jesus schaut mich an und sagt: „Du bist reingewaschen und wunderschön. An dir haftet nichts von der alten Scham.“ Das Badezuberwasser ist voller Reinheit und Wohlgeruch. Jesus sagt: „Du bist ein Wohlgeruch in meinen Augen, der Duft strömt aus von dir.“ Ich steige aus dem Badezuber und Jesus legt mir ein reines, weißes, wohlig warmes und weiches, gemütliches Gewand um. Er kippt das Wasser aus, spült damit alles weg, auch der üble Geruch verschwindet, nichts bleibt auf der Wiese zurück. Ich nehme den guten Geruch war, der jetzt von mir ausströmt. Ich habe das Gefühl, schön und reingewaschen zu sein. Ich darf strahlen. Jesus sagt mir: „Du darfst in diesem Bewusstsein leben, ohne Anstrengung, der Duft strömt einfach von dir aus, du musst nichts dafür tun, du kannst das gar nicht verhindern.“
Meine Würde ist wiederhergestellt. Ich darf aufrecht durchs Leben gehen und die Krone des Königskindes tragen. Gottes liebevoller Blick ruht auf mir. Ich bin befreit. Freude durchströmt mich und lässt mich über die Wiese tanzen. Dieser Tanz ist mit dem Gefühl der Freiheit verbunden. Ich darf mich jetzt zeigen und wahrnehmen, dass ich schön bin.
Scham war bis weit in mein Erwachsenenleben mein Lebensgrundgefühl. Sie zeigte sich am deutlichsten darin, dass ich bei vielen Gelegenheit sehr schnell „schamrot“ wurde. In den ersten Jahren auf dem Gymnasium wurde ich „Rotbäckchen“ genannt. Auch als Erwachsene wurde dieses Rotwerden dadurch verstärkt, dass man es taktlos ansprach: „Warum wirst du denn so rot?“ So biss sich die „Scham-Katze“ immer wieder selbst in den Schwanz und beschämte mich immer auf`s Neue. Es war sehr schlimm für mich, darüber keine Kontrolle zu haben und in diesem negativen Selbstwert vor anderen so sichtbar zu werden. Scham versteckt sich ja gerne, aber an diesem Punkt gab es kein Versteck für mich.
Meine Scham war verknüpft mit der Angst, nicht zu genügen, zu versagen, zu stören, negativ aufzufallen, im Mittelpunkt zu stehen und damit offenbar zu werden, letztlich mit der Befürchtung, tatsächlich falsch zu sein. Die Reaktionen darauf waren natürlich, möglichst alles gut und richtig zu machen, immer nett und freundlich zu sein und riskante Situationen, wo ich scheitern könnte, zu vermeiden.
Ziemlich am Anfang meines geistlichen Lebens gab Gott mir Psalm 34,5-6 als Verheißung. Diese Verse haben mich seitdem immer begleitet: „Ich suchte die Nähe des Herrn, und er hat mir geantwortet. Er rettete mich aus aller Angst. Alle, die zu ihm aufschauen, werden strahlen vor Freude! Nie werden sie beschämt sein.“
Die Geschichte meines Schamgefühls fing ich mit ungefähr 30 Jahren an, aufzuarbeiten. Zuerst war da das Idealbild meines Vaters, wie seine einzige Tochter aussehen sollte. In vielen indirekten Aussagen gab er mir zu verstehen, dass ich diesem Bild in keinerlei Weise entsprach. Ich war in seinen Augen zu dick, zu unweiblich (was Kurven anging), oder zu groß und dann fielen mir mit 14 Jahren auch noch bleibend die Haare aus, so dass für mich nie mehr als eine „männliche“ Kurzhaarfrisur möglich war. Ich hasste meinen Körper und brauchte sehr lange, um meinen Wert und meine weibliche Identität nicht mehr durch die Brille meines Vaters oder anderer Menschen zu sehen.
Ein weiteres bedeutsames Thema meiner Schamgeschichte waren die Erfahrungen meiner ersten Lebenstage. Durch die Trennung von meiner Mutter gab es eine gestörte Bindung zu ihr. Eine ganze Woche lang wurde ich gestillt von einer fremden Frau, die selbst ein Baby hatte. Das war gefühlt „das richtige“ Kind und ich war das „falsche“ Kind. Dazu kam die Art und Weise, wie man damals mit Neugeborenen umging: Den Hunger nur alle vier Stunden stillen, schreien lassen, weil es „die Lungen stärkt“, und das Kind irgendwo im Babybettchen allein schlafen lassen ohne den vertrauten Körper der Mutter als Brücke in das neue, unbekannte Leben.
Ich glaube, dass meine Ängste nicht zu genügen und falsch zu sein, grundlegend aus meiner Geburtserfahrung und weiteren Trennungen von meiner Mutter im ersten Lebensjahr stammen. Als Baby muss ich es auf mich bezogen haben, dass ich hin und her weggegeben wurde. Die Gründe dafür konnten in meiner kindlichen Sichtweise ja nur sein, dass man mich nicht haben wollte, weil ich nicht gut genug war.
Die Seelsorgeschule bei Team.F war eine Offenbarung für mich und das erste wesentliche Werkzeug für viele gute Schritte auf dem Weg, zu mir selbst JA sagen zu können. Eine ganz besondere Erfahrung machte ich auf einer Vaterherzwoche, wo ich die bedingungslose, herzerwärmend tröstende Liebe des himmlischen Vaters in einer solch tiefen Weise erlebte, dass ich seitdem unter seinem wohlwollenden und freundlichen Blick leben kann. Wenn ich zu ihm aufschaue - ja, dann fange ich tatsächlich an zu strahlen. Seine Liebe zu mir erlaubt mir, mich selbst liebhaben zu dürfen und barmherzig mit mir zu sein. Das ist nämlich das Allerschwierigste für Menschen voller Scham. Sie sind so kritisch mit sich.
Ich bin nun kein beschämter Mensch mehr, ich habe keine Angst mehr vor Fehlern. Ich kann vor Menschen stehen und bedürftig sein und ich werde schon ganz lange nicht mehr rot. Rot ist jetzt eine schöne Farbe, die ich gerne trage!
Interview mit Dirk Lüling
Sie sind seit vielen Jahren Seelsorger und Lebensberater und haben viele Menschen begleitet. Warum ist das Thema „Trost finden“ von Bedeutung?
Wenn unsere Seele verletzt wird und keinen Trost findet für den Schmerz, bleibt etwas offen. Es wird innerlich als «unerledigt» abgelegt und wir streben ein Leben lang danach, diese Wunde zu schützen, zu verdecken oder auch zu überspielen, damit uns in einer vergleichbaren Situation nicht erneuerter Schmerz widerfährt. Die Folge sind in der Regel ein negatives Selbstbild, Beziehungsprobleme und falscher Trost durch Leistung. Aber echter Trost muss empfangen werden, man kann sich nicht wirkungsvoll selbst trösten.
Viele Wunden, die Menschen mit sich herumtragen, stammen aus der Kindheit. Warum werden wir Schamgefühle oft auch Jahrzehnte nach dem beschämenden Ereignis nicht los?
Beschämende Ereignisse, für die wir in der Kindheit Trost und Zuspruch gefunden haben, tun nicht mehr weh. Sie sind für uns erledigt. Aber wie oft finden wir niemand, der uns auffängt und tröstet. Oder wir reden einfach nicht darüber, weil es uns zu peinlich ist und wir befürchten, noch eins oben drauf zu kriegen. Wie oft hören verstörte Kinder: „Bist ja selber schuld“. Das tut sehr weh und verschlimmert die innere Pein. Da schweigt man doch lieber und macht die Sache mit sich selbst ab. Aber auf diese Weise gibt es keine Heilung für die Erinnerung an das peinliche Erlebnis.
Was ist der Unterschied zwischen Scham- und Schuldgefühlen?
Schuld bezieht sich auf mein TUN, Scham bezieht sich auf mein SEIN.
Ich fühle mich schuldig, wenn ich etwas Falsches getan habe. Da kann ich um Verzeihung bitten und evtl. den Schaden wiedergutmachen. Scham hat eine viel tiefere Dimension. Die Scham sagt mir: Ich als ganze Person bin falsch und untauglich. Was soll solch eine Person anstellen, um sich wieder richtig und gut zu fühlen? Sie glaubt sich ja selber nicht, wenn sie sich einredet, es war ok.
Welche Wege gibt es, um diese alten Blockaden zu lockern und in eine neue Freiheit zu wachsen?
Wichtig ist, das Schweigen zu durchbrechen. Ich muss mir die beschämende Situation noch mal anschauen und über meine Gefühle und Gedanken von damals reden. Dazu brauche ich eine anteilnehmende Person die mir den Trost vermittelt, der damals fehlte. Außerdem muss sie mir wie ein «Anwalt» glaubhaft versichern, dass mir Unrecht geschehen ist und mir zusprechen, dass ich überfordert oder im Recht war, oder dass es einfach nicht fair war, wie mit mir umgegangen wurde - je nachdem, was ich damals als Zuspruch benötigt hätte. Wenn wir den Schmerz und das Unrecht vor Gott bringen erleben wir sehr oft, dass die betroffene Person innerlich wahrnehmen kann, wie Jesus als ihr Anwalt und Tröster auftritt und handelt. Das ist die stärkste Erfahrung von Trost, Heilung und Wiederherstellung der Würde.